ein Besuch bei den Christen in Syrien im Februar 2018
Syrien ist wohl zur Zeit das Land, das mit dem Kreuz Christi am tiefsten verbunden ist.
Mit zwei Priestern, die schon dreimal in Syrien waren, bin ich für zwei Wochen dorthin gefahren. Wir wollten ein bisschen unsere Solidarität mit den dortigen Christen bekunden, auch etwas materielle Hilfe bringen und vor allem die dortige Situation und das Glaubensleben kennenlernen.
Etwa 10 % der Bevölkerung sind Christen (ca. 2 Millionen). Von den Christen sind 60 % syrisch-orthodox, 40 % Katholiken. Es gibt 7 verschiedene katholische Kirchen, die alle einen anderen Ritus haben, aber mit Rom verbunden sind (die größte katholische Gruppe sind die Melkiten, griechisch-katholisch, 70 % – 80 %).
Dank der vielen Beziehungen meiner beiden Mitbrüder haben wir wohl zehn Bischöfe im ganzen Land besucht. Für mich war erstaunlich, dass sich alle persönlich gut kannten, dass es ein unkompliziertes ökumenisches Miteinander – ohne Vermischung der Glaubensunterschiede – gibt und dass sich alle einig sind in der Beurteilung der kirchlichen und der staatlichen und gesellschaft-lichen Situation.
Wir haben alle diese Orte besucht, von denen wir hier immer in den Nach-richten hören: Damaskus, Homs, Aleppo, Maalula, Seydnaya ….
In Damaskus haben wir beim armenisch-katholischen Bischof gewohnt. Die Alt-stadt ist das Christenviertel. Der hl. Paulus schreibt viel darüber: vor Damaskus hat er seine Bekehrung erlebt (dort steht heute eine Kirche mit der Darstellung, wie er geblendet vom Pferd fällt); dann erwähnt er das Stadttor und die `Gerade Straße`, die heute noch so heißt. Er berichtet, dass er in das Haus des Hannanias gebracht wird, wo er im christlichen Glauben unterwiesen wird – dieses Haus haben heute die Franziskaner; es ist eine Kirche, wo das Aller-heiligste zur Ewigen Anbetung ausgesetzt ist. Dann erzählt der hl. Paulus, dass die Juden dort ihm nach dem Leben trachteten und er in einem Korb an der Stadtmauer herabgelassen wurde, um zu fliehen. An dieser Stelle ist heute ebenfalls eine Kirche und ein großes Kinderheim, das von Ordensschwestern geleitet wird. Die christliche Altstadt hat unwahrscheinlich viele Kirchen, über-all gibt es Bildstöcke, Kreuze, Bilder von der Muttergottes und anderen Heiligen, viele kleine Gässchen mit vollen Geschäften und Märkten – so wie man sich den Orient vorstellt. An das Christengebiet schließt sich das Schiiten-viertel an; öfter gibt es Sicherheitskontrollen. In diesem Viertel steht die Omajaden-Moschee (früher eine altchristliche Basilika), in der das Grab des hl. Johannes des Täufers hochverehrt wird. Überall werden wir als katholische Priester erkannt und mit großer Freundlichkeit willkommen geheißen. So beten auch wir am Grab dieses großen Heiligen und besuchen noch mehrere andere Moscheen. Das Verhältnis mit den Muslimen ist ganz unkompliziert, wie uns später auch der Nuntius Kardinal Zenari erklärt – nirgendwo erregt es Anstoß, wenn er als Kardinal mit roter Kopfbedeckung und Brustkreuz Moscheen besucht. Jahrhundertelang konnten Christen und Moslems miteinander auskommen, bis sich vor einigen Jahren eine sogenannte Demokratiebewegung bildete, die plötzlich auch noch irgendwoher Waffen hatte.
Nachdem wir beim gastfreundlichen armenisch-katholischen Bischof Quartier bezogen haben, merken wir, dass wir ein bisschen in der Falle sitzen. Der Bischof hat Angst, dass auch uns etwas passieren könnte, denn im Moment sei die Lage sehr gefährlich, er traue sich schon nicht mehr aus dem Haus. Etwa 1 ½ km entfernt schießen die „Rebellen“ aus einem anderen Stadtviertel von Damaskus, das vom Militär abgeriegelt ist, Granaten in die Altstadt, Tag und Nacht, und oft sterben Menschen in den Straßen. Man hört die Einschläge, und einige Male werde ich nachts wach, weil sogar das Bett wackelt. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite zeigt uns der Bischof ein neu eingebautes Fenster: in der Silvesternacht 4.30 Uhr schlug eine Granate ein und tötete den 40jährigen Mann im Bett. Teile der Granate schlugen zurück auf das Bischofs-haus, zerbrachen die Fensterscheiben, zerschlugen einige Fliesen auf dem Hof und spalteten die Eingangstür. Der Bischof hatte den Mann gekannt, der wohl schon eine Vorahnung fühlte und dem Bischof gesagt hatte: ich habe schon alles organisiert: zur Beichte gekommen, ein Grab gekauft, zwei Bäumchen ge-pflanzt, alles verschenkt.
Die armenisch-katholische Schule beim Bischofshaus hat 460 Schüler; aber am 29.01. kamen aus Angst nur 30 zur Schule. Der Priester und Schulleiter im Haus zeigte uns in seinem Glasschrank all die Granaten, die er auf dem Schulgelände eingesammelt hat. Auch in der Schule sind Kinder bei dem Granaten-beschuss gestorben. Viele schreckliche und traurige Schicksale haben wir gehört und gesehen.
In einem von den drei katholischen Krankenhäusern in Damaskus besuchten wir die 17jährige Christine, die bei dem Raketenbeschuss ein Bein verloren hatte. Die Eltern waren da, Verwandte, ein Arzt, eine Ordensschwester, und wir alle waren zu Tränen gerührt, als sie uns sagte: es ist schwer, aber ich bin Christ, ich verzeihe!
Überall, wo Leute in der Stadt durch die Granaten umgekommen sind, stellt man zum Gedenken Fotos auf, allein an einer Stelle bei der Stadtmauer mehr als 20. Wir konnten die Flugzeuge sehen, die die Stellungen der „Rebellen“ bombardierten, von wo aus die Granaten abgeschossen werden – aber sie hatten wohl wenig Erfolg. Morgens sahen wir immer vor dem Frühstück mit dem Bischof „Euronews“: ‚Assad bombardiert sein Volk!‘ Der Bischof fasste sich immer nur an den Kopf und sagte: Hollywood. Offensichtlich wird hier von den sogenannten freien Medien ein gewaltiger Propagandakrieg geführt.
Also, wir mussten unsere Angst überwinden, um auf die Straße zu gehen und Besuche zu machen.
Wahrscheinlich waren wir die einzigen Ausländer im Land; öfter wurden wir freundlich angesprochen von ganz einfachen Leuten auf der Straße, die uns als Helden bewunderten und sich bedankten, dass wir ein Zeichen setzen, dass sie nicht vergessen sind.
Ganz wichtig war der Besuch beim syrisch-orthodoxen Patriarchen; er hat ganz offen mit uns gesprochen und uns sehr geholfen, z.B. auch nach Maalula zu kommen, in gesperrte Gebiete. Er war so erfreut über unseren Besuch, dass wir am Abend unser Foto auf der Internetseite des Patriarchates sehen konnten: Delegation der Katholischen Kirche aus Deutschland beim Patriarchen.
Zusammenfassend könnte man die Lage so beschreiben – und alle Bischöfe sehen das genauso:
1. nur wenige von den westlichen Bischöfen kommen uns besuchen (das ist unsere große Frustration), auch nicht, als vor Jahren die Lage noch nicht so gefährlich war; niemand möchte gegen die ‚political correctness‘ verstoßen, die von den westlichen Mächten diktiert wird: Assad muss weg!
Der Patriarch sagte, dass er und viele andere Bischöfe mehrmals im Jahr im westlichen Ausland sind und Einladungen machen: kommt doch, geht auf die Straßen und sprecht mit den Leuten, den Christen usw. ihr müsst ja nicht mit Assad sprechen! – nein, sie kommen nicht;
2. man kann im Westen sagen, was man will, man hat keine Chance; der Patriarch zeigte uns ein Interview, das er in Berlin einer deutschen Zeitung gegeben hat – die Zeitung machte dann als Überschrift: Assads frommer Gesandter. Der chaldäisch-katholische Bischof in Aleppo sagte uns, dass er nach einem Interview im Westen gefragt wurde, wieviel Assad ihm dafür bezahlen würde. So auch viele andere Bischöfe.
3. öfter wurden wir gebeten, ob wir nicht unsere Bischöfe positiv beeinflussen könnten… und diese dann die Regierung … Es ist ganz offensichtlich, dass man sich nicht für die Realität in Syrien interessiert, sondern absichtlich die Öffent-lichkeit manipuliert.
Der Besuch beim Nuntius war ebenfalls sehr erfreulich. Er spricht fließend deutsch, hatte früher in der Nuntiatur in Bonn gearbeitet, der einzige Kardinal in Syrien.
Auch in sein Haus war 2015 eine Granate eingeschlagen, hatte aber keinen Personenschaden angerichtet. Er bedauerte ebenfalls, dass der Westen ein falsches Bild von Syrien hat; er selbst und auch andere Bischöfe schreiben regelmäßig Lageberichte – wenn man will, kann man sich über die Realität in-formieren. Leider haben vor Jahren alle westlichen Botschaften (außer Tschechien und Vatikan) geschlossen – von wo will man Informationen bekommen?!
Der Nuntius meinte, ein friedliches Zusammenleben von Christen und Moslems sei möglich, Syrien sei ein gutes Beispiel. Die Christen in Syrien haben eine überdurchschnittlich große Präsenz von Schulen, Krankenhäusern, Alters-heimen, Kinderheimen … hier zeigt man, dass die christliche Nächstenliebe allen gilt, und das ist hoch geschätzt bei der muslimischen Bevölkerung.
Die drei katholischen Krankenhäuser in Damaskus standen vor dem ‚Aus‘, so der Nuntius (zwei Drittel aller Ärzte sind im Ausland, Geldprobleme, medizi-nisches Personal), aber morgen wird er auf der Versammlung mitteilen können, dass er im Vatikan erreicht hat, dass alle drei Krankenhäuser bleiben können und unterstützt werden.
Der Nuntius sagte, dass schon vor einigen Jahren die Bischöfe nach Westen geschrieben hätten, dass man die Leute nicht abwerben soll. Er sagt immer: man muss die Freiheit akzeptieren, aber wenn du gute Arbeit hast und nicht von Bomben bedroht bist, dann hast du auch von Gott her eine Verantwortung für das Land. Er sagte, zuerst ist die Oberschicht weg, dann die Mittelschicht, die Armen bleiben. Jetzt ist noch die Angst der Jungen, ins Militär eingezogen zu werden. Aber der Weggang ist auch der Tod der Kirche. Wen sollen die Mädchen heiraten?
Zu den Flüchtlingslagern in Deutschland meinte er, man könne nicht Christen und Muslime gemeinsam unterbringen. Auch in Deutschland würde es noch viele Probleme geben.
Als Nuntius fühlt er sich sehr anerkannt von allen.
Mit den Muslimen gibt es gute Beziehungen, ebenso mit der Regierung. Schon der Vater von Assad gab den Minderheiten Privilegien. Die Kirche bekommt auch finanzielle Hilfen, es herrscht Religionsfreiheit. An christlichen Feiertagen Weihnachten und Ostern hat das ganze Land arbeitsfrei! Die Regierung an-erkennt eine eigene kirchliche Gesetzlichkeit, d. h. z. B. dass christliche Ehe-schließungen auch staatlich anerkannt sind.
Nach ein paar Tagen sind wir nach Aleppo aufgebrochen. Die Autobahn bis Homs ist frei; dann gibt es eine große Umleitung, weil die Straße nicht sicher ist (insgesamt 5 Stunden). Wir fahren die Verteidigungslinie entlang. Mal rechts, mal links sind die befestigten Anlagen mit Panzern, schweren Geschützen und Soldaten in regelmäßigen Abständen zu sehen. Rechts und links liegen ausge-brannte PKW‘s, Busse, Tankautos, LKW‘s. Wir fahren durch zerstörte Dörfer. Öfter gibt es Kontrollen. Auf dem Weg nach Aleppo erfahren wir, dass in der Nacht durch die Mörsergranaten der „Rebellen“ in Damaskus neun Menschen gestorben sind und es viele Verletzte gegeben hat.
In Deutschland hat man eine falsche Vorstellung, wenn man meint, überall im Land tobe ein „Bürgerkrieg“. Dem ist nicht so; nur in einzelnen kleinen Gebieten herrschen die „Rebellen“; abgeriegelt durch das Militär. Sonst trifft man überall im Land ein normales Leben an. Zur Sicherheit haben einzelne Ort-schaften eine Art ‚Bürgerwehr‘ gegründet – so kann die syrische Armee andere Aufgaben wahrnehmen. Große Strecken des Weges nach Aleppo werden von der Hisbollah kontrolliert; auch von denen werden wir als Priester aus Deut-schland freundlich begrüßt.
Wenn man nach Aleppo hineinfährt, dann kommt man zuerst durch ein völlig zerbombtes Stadtviertel, etwa 20 % der Innenstadt, wo sich die „Rebellen“ verschanzt hatten, wurde bei der Rückeroberung zerstört. Russische Soldaten und Flugzeuge haben mitgewirkt mit der syrischen Armee. Öfter sieht man russische Schriftzeichen; die russischen Soldaten mussten unter Lebensgefahr alle Häuser durchsuchen, weil die „Rebellen“ beim Rückzug überall Minen und Fallen gelegt hatten. Wenn ein Haus durchsucht war, schrieben die Russen auf die Wand ‚min njet‘, und die Leute konnten zurück in ihre Häuser.
Wir besuchten den ausgebombten melkitischen Bischof in seiner proviso-rischen Residenz in einer Stadtwohnung. Er beklagte, dass jetzt nur noch etwa 200 Familien seiner Pfarrei geblieben sind (er hat 15 Priester), die anderen 50 % sind tot oder geflohen. Sechs Bomben haben seine Kathedrale getroffen, Wohnungen, Verwaltung, Schule … Wie alle Bischöfe sieht er die Rolle Rußlands sehr positiv: hätten sie und der Iran nicht interveniert, wir wären schon längst Kalifat, Gottesstaat mit Scharia. Im Alter von 74 Jahren hat der Bischof aber nicht den Mut verloren, überall hat er Projekte: Schulen, Berufsausbildung, eine großangelegte Rückrufaktion aus dem Ausland – wer zurückkommt, erhält Wohnung (er hat zwei große Wohnblocks gekauft), Startkapital, Rückreisegeld, Ausbildung usw. etwa 25 Familien seien bisher gekommen (auch andere Bischöfe und der orthodoxe Patriarch haben solche Aktionen). Man muss den jungen Leuten Hoffnung geben, so sagt der Bischof immer, und sich nicht vom ‚mainstream‘ beeinflussen lassen. So hat er auch eine Schule mit 525 Schülern gegründet, eingebaut unter eine große Kirche, geleitet von seinem Sekretär, der uns alles zeigte, auch die zerstörte Kathedrale und Residenz. Er erzählte uns, dass plötzlich nachts die Terroristen kamen, auch durch die Gullis, überall Granaten warfen, er aufwachte, schnell zum Bischof wollte, aber nicht mehr bemerkte, dass die Treppe schon weggebombt war – so fiel er in die Tiefe, verlor ein Auge, wurde mit Bischof und anderen aus den Trümmern von der syrischen Armee in Sicherheit gebracht und wachte nach einer Operation wieder auf. Er ist ein ganz lebenslustiger Priester, und wenn er sich an den Kopf fasst, sagt er immer scherzend: alles Plaste!
Ganz in der Nähe, am Rand der Zerstörung, neben der Kathedrale, besuchten wir eine andere Schule, 330 Schüler, von zwei Ordensschwestern geleitet. Oft wurden sie von den anderen Schwestern bedrängt: warum bleibt ihr bei den Bomben? Sie antworten dann immer: ich kann doch nicht meine Kinder allein lassen!
Hoch in Ehren stehen die Salesianer Don Boscos wegen ihrer vielen Berufsausbildungsstätten, und die Franziskaner: in der Innenstadt haben sie eine große schöne Kirche – eine lebendige Gemeinde. Hier habe ich immer um 18 Uhr die hl. Messe mitgefeiert, alles in Arabisch bis auf meinen kleinen Anteil deutsch im Meßkanon. Vor der hl. Messe wird der Rosenkranz gebetet, ungefähr 60 Leute kommen zur Abendmesse (früh ist noch eine hl. Messe um 7.30 Uhr, ebenfalls gut besucht). Einige eifrige jugendliche Ministranten kommen wochentags morgens und abends zur hl. Messe. Am 2. Februar (Mariä Lichtmess) waren wohl an die 250 Gläubige zur hl. Messe mit Kerzenweihe gekommen. Einer der vier dortigen Franziskaner lobte seine Leute: niemand hat den christlichen Glauben verraten, eher ist man bereit zu sterben. Seit Weihnachten 2016 ist die Stadt befreit, die ISIS-Terroristen aus den äußeren Stadtvierteln vertrieben, aber mehrere Priester und auch zwei Bischöfe sind entführt, von denen man keine Information hat.
Es gibt noch eine andere Unternehmung der Franziskaner. Etwas außerhalb, Richtung Stadtrand, in der Nähe der Uni haben sie ein 100.000 m2 großes Grundstück. Sonntags kommen manchmal 7000 Christen aus ganz Aleppo zusammen. Es gibt ein kleines Schwimmbad, Fußball- und Volleyballfelder, die Leute bringen etwas zum Essen mit, manche grillen … alle kennen sich, halten zusammen, geben Informationen und Hilfen weiter, neue katholische Familien entstehen …
In Aleppo – so wird uns gesagt – ist es Tradition, dass alle Priester aller katholisch-orientalischen Kirchen unverheiratet sind (selbst in den Kirchen, wo man heiraten dürfte). Die Leute hier würden das nicht akzeptieren, sagt man, Aleppo sei eben etwas Besonderes.
Unangemeldet besuchten wir am 2. Februar auch noch den chaldäisch-katholischen Bischof, einen Jesuiten, für 1 ½ Stunden. Es war kalt, wir saßen in Mänteln, draußen auf den Straßen liefen die Notstromaggregate. Wie immer wurden wir herzlich bewirtet.
Dieser Tag war besonders traurig, weil in der Stadt 21 Menschen bei einem Bombenangriff der Terroristen starben. Dieser Bischof war der Caritas-Bischof für Syrien; er berichtete von einer großen Hilfe aus Polen für Heizung und Lebensmittel, aber leider auch davon, dass westliche kirchliche Organisationen die Terroristen unterstützen. Als er dahinterkam, hat er versucht, das zu unter-binden, und man ist auch wohl bereit einzulenken. Er betont, dass jetzt immer drei Dinge wichtig sind: Essen, Bildung, medizinische Projekte. Geld sei nicht das Wichtigste, sondern der Frieden.
Die Baath-Partei, die im Lande regiert, ist in den 40iger Jahren von einem Christen (Michel Aflaq) und einem Moslem (Salahadin al-Bithar) gegründet; man hatte die Idee und Konstruktion von einem laizistischen Staat, in dem auch alle Religionen Platz haben dürften, es aber kein Gottesstaat geben sollte – also die Trennung von weltlicher und geistlicher Macht. Und genau einen von diesen weltlichen Staaten, wo die Christen leben konnten, haben die Amerikaner destabilisiert mit der Lüge, Saddam Hussein, habe chemische Massenvernichtungswaffen, was der Vorwand für den Irak-Krieg war und praktisch dazu geführt hat, das Land durch Verfolgung und Vertreibung christenfrei zu machen. Diese vielen Chaldäer sind dann nach Syrien geflüchtet, aber der Bischof hat nur geringe Hilfsmöglichkeiten, seine Christen zu halten, weil diese durch ihre negative Erfahrung sehen, dass man jetzt versucht, auch Syrien zu destabilisieren – und deshalb ziehen die Massen lieber gleich weiter nach Westen.
In Aleppo befindet sich in einer Moschee das Grab des hl. Zacharias, Vater von Johannes dem Täufer, das ebenfalls sehr verehrt wird. Aber alles lag in Kriegs-trümmern, und weil schon der Wiederaufbau begann, wurden wir nicht vor-gelassen. Am 4.2. besuchten wir Homs, das durch die Rückeroberung von den Terroristen zu 100 % zerstört war. In den Ruinen leben Leute, weil es nichts anderes gibt. Hier wurde ein ausländischer Jesuitenpater (Frans van der Lugt) Märtyrer, der seinen Tod schon vorhergesagt hatte. Die kleine syrisch-katholische Gemeinde war nach der hl. Messe zum Kaffee versammelt; man sagte uns, es seien leider nur 60 nicht vollständige Familien übriggeblieben. Ebenfalls nach der hl. Messe erzählte uns der syrisch-orthodoxe Bischof von Homs beim Gemeindekaffee, dass beim Angriff der Terroristen 100 Kinder seiner Schule getötet wurden, viele, besonders junge Leute, sind weg. Aus seiner Gemeinde Homs schätzt dieser Bischof, dass es 400 bis 500 Märtyrer gebe; niemand könne das genau sagen, weil ja auch viele verschleppt seien.
Die melkitische Kathedrale in Homs ist schon wiederaufgebaut. Eine halbe Stunde nach der Messe wurde sie damals bombardiert – gottseidank waren schon alle zuhause. Überall ist der Aufbau im Gange, aber überall sieht man die Zerstörungen, besonders auf den Gesichtern der Ikonen. Auf unserer Fahrt weiter nach Seydnaya zum syrisch-orthodoxen Priesterseminar, wohin uns der Patriarch für ein paar Tage eingeladen hatte, hörten wir immer wieder Gefechtslärm, Raketen und Schüsse.
Im orthodoxen Priesterseminar Seydnaya, ca. 30 km nördlich von Damaskus, studieren Seminaristen aus aller Welt, dort befindet sich auch ein großes Kinderheim, die Kathedrale des Patriarchen mit den Gräbern seiner Vorgänger, ein Gästehaus, ein Kloster, eine im Aufbau befindliche Universität, ein Jugend-zentrum, eine unterirdische Kirche mit einem Reliquienteil des Gürtels der Gottesmutter, der in Homs aufbewahrt wird. Einer der dortigen Mönche war 118 Tage in der Gewalt der Terroristen, von ISIS entführt. Eine Stunde lang erzählte er uns auf Bitten seine schrecklichen Erlebnisse. 75 % der Terroristen waren Einheimische, 25 % Deutsche, Franzosen, Amerikaner, Tunesier, Marokkaner – die Fremden waren besonders brutal und gefährlich. Es endete ganz eigenartig, er sagte, obwohl er oft mit dem Tod bedroht wurde, habe er alle Tage nicht nur die Nähe Gottes gespürt, sondern er konnte direkt die Hände Christi fühlen, die ihn berührt und gehalten haben.
Für den 5.2. hatte uns der Patriarch eine Fahrt nach Maalula organisiert. Wegen der gefürchteten Angriffe ist auch der Weg dorthin schon militärisches Sperrgebiet. Maalula war eine wunderschöne Stadt, eingebettet in die Berge, viele Einsiedler lebten früher in Felshöhlen, alles war von Christen besiedelt, die bis heute noch aramäisch, die Sprache Jesu, sprechen, weltweit einzigartig.
Hier lebte die hl. Thekla – eine ganz fromme urchristliche Gegend bis heute. Im Kloster der hl. Thekla führten Schwestern ein großes Kinderheim, das sich wun-derschön an die Berge anschmiegt. Aus vielen Ländern kamen Pilger nach Maalula zur Wunderquelle der Gottesmutter, zur hl. Thekla … ganz oben befindet sich die älteste noch in Gebrauch befindliche Kirche mit dem ältesten Altar der Welt … dann kamen für vier Monate die Terroristen, viele starben, die Schwestern wurden entführt, ein abgrundtiefer Hass gegen Christen brach sich Bahn; wenn man die Ikonen nicht ganz zerstören konnte, schoss oder kratzte man ihnen die Augen aus, selbst im Hof versuchte man mit Hammerschlägen die in Stein gemeißelten Kreuze zu zerschlagen … traurig und still gingen wir betend die Wege ab, wo einmal blühendes Leben war, irdisches und ewiges. Nach uns schloss man das zerstörte Kloster wieder ab.
Bei der oberen ältesten melkitischen Kirche sagte man uns, diese Gemeinde habe einmal 7000 Familien gehabt, jetzt seien vielleicht noch 1000 Einzel-personen am Ort.
In einem Laden haben wir noch etwas zu Essen gekauft; Leute erzählten, dass früher nur Christen in Maalula waren, aber dann dachte man, man müsse auch armen Moslems helfen und nahm einige auf – diese wurden dann zu Verrätern und zeigten den Terroristen die Wege in die Stadt. Nach der Rückeroberung durch die syrische Armee seien sie nach Deutschland gegangen – Wahrheit oder Legende? Auf jeden Fall sehr traurig!
Nach unserem deprimierenden Ausflug nach Maalula wurden wir in ein Restaurant zurückgefahren, wo der Patriarch, noch ein Bischof und einige
Begleiter uns zum Mittagessen einluden – so kamen wir auf positive Gedanken. Der Patriarch ist ein Mensch, ganz bodenständig, realistisch, der aber immer Optimismus, Hoffnung ausstrahlt, Ideen hat und voller Tatendrang ist. Nach dem Essen ging er mit uns auf Exkursion. Zuerst fuhren wir mit drei Autos zu einem Rohbau: das wird ein Kinderheim, dann weiter zu einer anderen Bau-stelle, wo er uns mutig auf den Brettern, Talar hochgekrempelt, voranging: das wird ein Kloster für 20 Mönche, dann fuhren wir zu einem Kloster: hier machen wir immer mit dem Präsidenten die Jugendtreffen; so machen hier die Mönche die Seifen, die Kerzen, die Marmelade (alles konnte er zeigen und erklären, sogar die verschiedenen Bäume, was wächst und wie das verarbeitet wird), das hier ist die Hühnerfarm … dann gab es noch Tee zusammen mit den Mönchen und wir fuhren nach Hause.
Wir erfuhren, dass die Regierung alle Minderheiten unterstützt, nicht nur die Christen, sondern auch die Drusen, die Ismaeliten, die Schiiten usw. und dass der Präsident regelmäßig die Kinderheime, Krankenhäuser, Sozialeinrichtungen besucht.
Ich hatte gehört, dass es einen Rückruf und auch eine Wiedereingliederungs-hilfe (auch finanziell) für Terroristen gäbe; der Patriarch sagte, dass es diese Amnestie und diese Hilfen gibt und auch nicht wenige zurückkommen, aber das seien leider oft nur die Mitläufer und Sympathisanten, aber nicht die eigent-lichen Terroristen.
Die Christen sind überall sehr geschätzt, weil sie als ehrlich und zuverlässig gelten – so werden sie auch in der Armee oft mit gefährlichen Aufgaben betraut.
Am 6.2. haben wir so viele Klöster besucht, dass ich den Überblick verloren habe. Ich erinnere mich an Kloster und Berg Cherubim mit einer riesigen Christusstatue, von Rußland geschenkt. Dort sind viele Höhlen, in denen früher Einsiedler gelebt haben. Jetzt ist dort das Militär; nur ein Mönch, mit dem wir dorthin fuhren, ist für ein halbes Jahr im Sommer dort oben. Ansonsten wartet man auf bessere Zeiten.
Aus der Zeit von Kaiser Justinian (um 550) gibt es ein altehrwürdiges Kloster. Der Kaiser sei auf Jagd gewesen und wollte ein Reh erlegen, das sich in die Mutter Gottes verwandelte und ihm befahl, an dieser Stelle ein Kloster zu bauen. Bis heute kommen von überall her Pilger, und bis heute zieht man sich an diesem hl. Ort die Schuhe aus und verweilt in stillem Gebet.
Das Kloster wurde nie zerstört und hat auch von außen her Ähnlichkeit mit dem zur gleichen Zeit von Justinian erbauten Sinai-Kloster in Ägypten.
Ein anderes Kloster ist Ort der Erscheinung des hl. Georg. Mit einem Mönch gingen wir die Treppe hinab in eine Art Unterkirche/Grotte. Hier haben die Türken vor 100 Jahren zwei unserer Bischöfe umgebracht, die lange hier liegengeblieben sind, so sagte unser Begleiter. Auf meine Bemerkung hin, Syrien habe wohl zu allen Zeiten seine Märtyrer, sagte unser Mönch: Ja, Gott sei Dank!
Die letzten Tage unserer Reise haben wir wieder in Damaskus beim armenisch-katholischen Bischof zugebracht. Diesmal war die Lage sehr dramatisch. Es war ganz still in der Stadt, wenige Menschen auf der Straße, die meisten Geschäfte geschlossen. Der Granatenbeschuss aus dem Rebellengebiet wollte Tag und Nacht kein Ende nehmen. Auch die Bombenangriffe der syrischen Luftwaffe auf die Stadtgebiete, von denen die tödlichen Geschosse auf die Zivilbevölkerung der Altstadt abgefeuert wurden, brachten kein Ende der Gefahr. Der Bischof beschwor uns, jetzt nicht aus dem Haus zu gehen, es könne jeden, jederzeit an jedem Ort treffen. Trotzdem haben wir es gewagt. Ich habe die Franziskaner und ihre Kirche besucht; im Jahre 1860 sind während der hl. Messe acht Franziskaner von Moslems getötet worden – die Gebeine der Märtyrer sind zur Verehrung in einem Glassarg ausgestellt. Gemeinsam haben wir die chaldäisch-katholische Kirche besucht und ein wunderschönes orientalisches Hotel in der Nähe; man lud uns ein, kostenlos dort zu wohnen – es kommen keine Gäste. Alle bestätigten uns, dass vor der von außen inszenierten Destabilisierung des Landes alles einen großen wirtschaftlichen Aufschwung genommen hatte, es ging den Leuten gut. Zu Beginn der Regierung Assad (im Jahr 2000) war das durchschnittliche Monatsgehalt 50,- Euro, am Beginn des Krieges 200,- Euro – bei gleichgebliebenen Preisen. Das bestätigten auch meine beiden Begleiter, die Syrien schon lange besuchen.
Sehr interessant war unser Besuch bei der Hilfsorganisation des Patriarchates; fast nur Frauen arbeiten hier, die Männer sind in der Verteidigung. Es ist ein gewaltiges Hilfswerk, untergebracht in einigen wenigen kleinen Zimmerchen: Krankenhäuser, Lebensmittelverteilung, finanzielle Hilfen; Familien, Kinder, alte Leute werden betreut, Berufsausbildung, Studentenförderung, Medikamenten-ausgabe, Suppenküchen, Schulprojekte … friedensbildende Maßnahmen, z. B. Sportgruppen, Singegruppen, Clubs für Christen und Moslems, sogar Clubs für alte Leute (Christen und Moslems), die sich zum Schachspielen treffen u. a.
Unterstützung bekommt dieses gewaltige Hilfswerk von vielen Nichtregierungs-Organisationen in aller Welt, z. B. auch von Unicef, CSI, UNDP … Jedes Jahr kann man den Rechenschaftsbericht im Internet nachlesen. Die Mitarbeiter sagen uns, dass der Patriarch mit seinem unentwegten Engagement und seiner opti-mistischen Grundeinstellung eine große Hilfe ist, sich ständig für den Aufbau einzusetzen und sich nicht von der traurigen Realität in untätige Depression verbannen zu lassen.
Mehrere Bischöfe konnten wir nicht besuchen – sie waren mit ihren Delegationen der Einladung Rußlands nach Sotchi zur Friedenskonferenz für Syrien gefolgt.
Wir besuchen dann noch die armenisch-orthodoxe Kathedrale und den syrisch-katholischen Bischof, der gut deutsch spricht. Er erzählt uns von einer Bege-benheit am letzten Osterfest. Am Nachmittag rief jemand von der Regierung an, ob er der Bischof ist, der für die Mutter-Teresa-Schwestern zuständig sei; der Präsident möchte heute Nachmittag das Altersheim und die Schwestern besuchen, ob er auch kommen könne. Also fuhr er hin, alle saßen im Kreis, auch Frau Assad war mitgekommen und hielt rechts und links den alten Leut-chen die Hand – eine frohe Runde, in der sich der Präsident auch erkundigte, was man noch im Haus brauchen könnte. Der Bischof erwähnte dann noch, dass es niemals Probleme mit Visas für die Schwestern gäbe; alles wird schnell und unbürokratisch gelöst. Solche Besuche des Präsidenten in kirchlichen Ein-richtungen finden regelmäßig und unkompliziert statt, wie es alle Bischöfe berichteten.
Für uns war es sehr traurig, dass man hier im „freien“ Westen ein ganz anderes Bild über Syrien verbreitet, offensichtlich mit einer ganz bestimmten Absicht.
In meinem Bericht habe ich nicht alle Bischöfe erwähnt, die wir besucht haben, nur einige – aber alle geben die gleiche Einschätzung der Lage:
– in Syrien gibt es Religionsfreiheit, und die Zusammenarbeit mit der Regierung Assad ist sehr gut (in keinem anderen arabischen Land gibt es solche idealen Bedingungen für das Christentum)
– Präsident Assad und die Regierung unterstützen aktiv alle Minderheiten im Land, auch die Christen;
bei vielen Gelegenheiten sagt der Präsident ganz offen: die Christen hier im Land sind keine Zugvögel, die kommen und wieder wegfliegen: das hier ist euer Land, ihr, die Christen, wart zuerst hier!
– man kann sagen, dass es auch bei den „Rebellen“ weniger radikale Kräfte gibt – nicht alles sind Terroristen. Aber diese zahlenmäßige Minderheit von wenigen Prozent hat keine Einflussmöglichkeit, bei einem Sieg über Assad einen Gottesstaat mit Scharia (Kalifat Syrien) zu verhindern. Die Folge wäre: Flucht und Vertreibung aller Christen. Eine Alternative gibt es nicht.
Die Christen – so könnte man sagen – sind trotz ihrer geringen Zahl das Rückgrat der syrischen Gesellschaft (Bildung, Sozialeinrichtungen, Kultur, internationale Beziehungen usw.). Würde es dem Teufel gelingen, im gegenwärtigen militärischen und Propagandakrieg dieses Rückgrat zu zerschlagen, Syrien christenfrei zu machen, dann könnte man das Land leichter abhängig machen und versklaven, und niemand in der Welt würde mehr davon Notiz nehmen, wie das heute in den anderen arabischen Ländern der Fall ist. Eine schreckliche Vision!
Menschlich gesehen kann man von einer ziemlich trostlosen Situation sprechen: die fehlende Solidarität der Bischöfe und der sogenannten christ-lichen Länder und Regierungen, die doch eigentlich alle ein Interesse haben müssten, dass verfolgte Christen geschützt werden und es ihnen nicht so er-geht wie in anderen arabischen Ländern. Informationen der syrischen Bischöfe gibt es genug, so dass keiner sich herausreden kann: das haben wir aber gar nicht gewusst. Offensichtlich hat man andere Interessen?!?
So wird vermutlich das Leiden der Märtyrerkirche weitergehen, bis zum Ende der Zeiten, wie es der Herr vorausgesagt hat. Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sein Leben verliert?! – so mahnt Christus.
Jeder einzelne ist in die Entscheidung der Nachfolge gerufen. Er kann sich nicht auf andere oder auf besondere Umstände berufen. Es ist für mich eine ganz große Freude gewesen, in Syrien so vielen treuen Glaubenszeugen zu begeg-nen, die ganz selbstverständlich mit Christus das Kreuz tragen – mit Liebe; und wo die Liebe ist, ist immer auch die Freude! Es ist eine Freude und eine Liebe, die von dort kommt, wo wir zuhause sind.
Teltow, am 1. März 2018
Pfarrer Michael Theuerl