Voll Zuversicht das Kommen unseres Erlösers Jesus Christus erwarten

Advent in Adjudeni 2015

Dreimal am Tag betet die gläubige Christenheit den „Engel des Herrn“ – es ist das dankbare Gedenken der Menschwerdung Gottes, des Adventus Domini, der Ankunft des Herrn in unserer Welt. Dieses Angelus-Gebet wurde für mich zu einem ein-drucksvollen Erlebnis in den Hl. Messen bei meinem Besuch in Rumänien in der Adventszeit 2015. Für eine Woche war ich in dem Dorf Adjudeni, nahe bei der Stadt Roman, wo alle 3500 Einwohner katholisch sind. Schon von weitem sieht man die große neugotische Kirche mit 1200 Sitzplätzen, von den Gläubigen in der Zeit des Kommunismus selbst gebaut, ohne Hilfswerke aus dem Westen. Jeden Tag werden zwei Hl. Messen gefeiert: früh um 6.30 Uhr und abends um 17 Uhr. In jeder Wochen-tagsmesse – mit Predigt – sind immer um die 400 Gläubige, manchmal weit über 500, niemals unter 300.

In der ganzen Diözese Iasi gibt es einen schönen Brauch im Advent: nach dem Schlussgebet, vor dem Segen, wird alles elektrische Licht ausgeschaltet, nur die Kerzen brennen noch in der dunklen Kirche – es wird ganz still – es ist Advent – Warten auf den Herrn. Und dann wird der „Engel des Herrn“ gesungen, mit Orgel, lautstark, sehnsüchtig, inbrünstig, das Herz ergreifend; der Mensch wird sich bewußt, dass er sein ganzes Leben lang auf Gott hin bezogen ist, dass er in seiner Dunkelheit wachend und betend auf Gott, sein Heil, wartet.

Draußen beginnt es langsam hell zu werden, man sieht es an den Fenstern – ein eindrucksvolles Zeichen für Christus, das Licht, den kommenden Herrn, der alles hell machen wird.

Aber noch ist es dunkel, auch im Herzen, es ist die Finsternis der Sünde, die das Licht aufhalten will; der Mensch muss sich bereit machen für das Kommen des Lichtes, dem Herrn den Weg bereiten und alle Sündenfinsternis ablegen. So konnte ich in jeder Hl. Messe in Adjudeni beobachten, dass zahlreiche Gläubige während der Hl. Messe zu den Beichtstühlen nach vorn kommen. Einer der drei Priester dort ist immer im Beichtstuhl. Am Sonntag standen zu Beginn der Predigt an unterschied-lichen Stellen der Kirche noch einmal etwa 40 Leute auf und kamen nach vorn, um die Vergebung Gottes im Bußsakrament zu empfangen, die meisten von ihnen waren Kinder und Jugendliche. Auch der Organist stand von seinem Spieltisch vorn vor den Sitzbänken auf und ging für alle sichtbar in den Beichtstuhl. Der Umgang mit dem Bußsakrament ist ganz unkompliziert und selbstverständlich. Die betende und wachende Kirche – so kann man hier sehen – ist immer auch eine büßende und von ihrem Herrn Vergebung empfangende Kirche. Ohne die Umkehrbereitschaft des Menschen kann Gott nicht bei ihm ankommen, bleibt es dunkel in ihm – so sagt es die große Adventsgestalt, der Bußprediger Johannes der Täufer.

Dann aber wird es heller in der Kirche. Über den neugotischen Spitzbögen und unter den hohen Fenstern wird oben an den Wänden ein aus großen, bronzenen Bildern bestehender Kreuzweg sichtbar, wie ein weiter Kreis, wie eine der Kirche aufgesetzte Dornenkrone. Die ganze Kirche Rumäniens trug in der Zeit der kommunistischen Diktatur eine Dornenkrone und ging den Kreuzweg Christi. Alle Bischöfe waren im Gefängnis, und etliche von ihnen waren dort schon als Märtyrer gestorben. Die ganze Kirche war dem atheistischen Terror ausgesetzt. Es war eine große Advents-zeit, ein sehnsuchtsvolles Warten auf den Erlöser aus aller Not, Bedrängnis und Verfolgung. Aber genau in dieser Zeit der Verfolgung, in den sechziger Jahren, bauten nicht nur die Gläubigen von Adjudeni ihre eindrucksvollen Gotteshäuser an vielen Orten. Das Blut der Märtyrer ist der Same für neue Christen, so sagte man in der ersten Christenverfolgung. Und auch hier in Rumänien konnte man die geist-lichen Früchte in der Verfolgung sehen: während die einen die Freiheit und das Leben hingaben, erstarkte der Glaube der anderen und ließ sie sogar große Kirchen bauen.
Wenn es in der Kirche heller wird und die Sonne in die Kirche kommt, erstrahlt der große bronzene Fries des Kreuzwegs in goldenem Licht: die Dornenkrone wandelt sich in eine Königskrone; die Ohnmacht und Schwachheit im Leiden verwandelt sich in der Liebe und Hingabe des Lebens zur Siegerkrone – bei Christus selbst, aber dann auch bei allen, die Seinen Weg mitgehen. Geduld und Warten und Sehnsucht des Advent verwandelt sich in Licht und Freude, wenn wir mit Christus in
Gemeinschaft bleiben.

Unser ganzes Leben ist eine Adventszeit: Sehnsucht und Warten auf den wieder-kommenden Christus, unser Heil. Diese innere Ausrichtung auf Christus soll unser ganzes Leben prägen; alles, was wir denken, planen und tun, soll auf den Herrn ausgerichtet sein. Als ich in der Pfarrei Adjudeni ankam, erfuhr ich, dass jeden Tag dort zwei Hl. Messen gefeiert werden, mit denen dann jeweils noch eine Stunde eucharistische Anbetung verbunden ist. Diakon Tarciziu, der mich zu seiner Diakon-weihe – insgesamt 20 Neugeweihte! – eingeladen hatte, erklärte mir, dass er jeden Tag beide Hl. Messen und mindestens eine Stunde Anbetung mitfeiert: was könnte man denn sonst in dieser Zeit Wichtigeres zu tun haben?! So sagte er! Für alles andere Notwendige bleibt noch genügend Zeit: Katechesen, Gruppen und Kreise, gerade wird das Krippenspiel vorbereitet; obwohl der Pfarrer noch nicht lange am Ort ist, hat er bereits alle 3500 Gläubigen besucht – alle 1300 Familien, wie er sagt. In Rumänien gibt man die Katholikenzahl immer nach Familien an – solch eine hohe Bedeutung hat die Familie! Zurzeit richtet der Pfarrer im Pfarrhaus eine kleine Radio-station (zusätzlich zum landesweiten „Radio Maria“) ein; für Kinder, Jugendliche, Familien, Alte und Kranke wird es jeden Tag ein spezielles Programm der Pfarrei geben. Der Pfarrer erzählt von seinen Mühen und Freuden in seiner vorherigen Pfarrei Sabaoani, wo er in dem langgezogenen 10.000 Einwohner zählenden Dorf mit den Gläubigen in den 21 Jahren seines dortigen Wirkens 4 Kirchen gebaut hat. Wie sehr hat das die Gemeinde auch innerlich geeint, als sie mit ihrem Geld und mit ihrer Hände Arbeit diese Kirchen selbst gebaut hat, immer in dem Bewusstsein, dass alles auch ein geistliches Tun ist: der Aufbau der Kirche aus lebendigen Steinen. All das sind die Früchte einer tiefen Christusbeziehung; die Hinwendung zum Herrn hält nicht vom Einsatz für die Menschen ab; im Gegenteil: je mehr ein Mensch in Gott verankert ist, umso mehr wird er die Menschen lieben. Man kann sich vielleicht ein bisschen vorstellen, wie sehr ein solches Leben von den Stunden des Gebetes und von der Christusbegegnung in den Sakramenten geprägt ist und zum Segen für die Mitmenschen wird. Adventliche Existenz, Ausrichtung auf den Herrn!

Advent heißt nicht passives, langweiliges Abwarten, sondern aktives, von Vorfreude erfülltes Erwarten – wie Johannes der Täufer sagt, dass wir dem Herrn die Wege für Sein Kommen bereiten sollen. Von der dafür notwendigen Beichte haben wir schon gesprochen. Zu dem aktiven Erwarten des Herrn gehören auch viele Hilfswerke der Nächstenliebe. Alle Seminaristen machen im 5. Studienjahr ein Praktikumsjahr in Afrika oder Lateinamerika, wo die Diözese Missionsstationen unterhält (etwa 150 Priester der Diözese arbeiten im Ausland; ca. 130 Seminaristen bereiten sich auf die Priesterweihe vor; die Diözese Iasi hat etwa 400.000 Katholiken – wie die Diözese Berlin). Oder ein Seminarist macht sein Jahrespraktikum in Kinder- oder Alters-heimen der Diözese. So habe ich mit Diakon Tarciziu sein Kinderheim besucht und auch noch ein anderes Heim in Butea, wo italienische und rumänische Ordens-schwestern 40 alte Leute und 20 Kinder liebevoll betreuen. Die Schwestern nehmen immer die Menschen auf, die die größte Not leiden: keine Angehörigen, kein Geld, keine Wohnung usw. Beim Rundgang durch alle Zimmer erzählte uns die Ordens-schwester kurz etwas aus dem Leben jeder Person. Ein älterer freundlicher Herr war einmal ein großer Trinker, und als seine arme Mutter ihm einmal sagte: Junge, trink doch nicht immer so viel! – da hat er sie in seiner Wut mit einem Holz so geschlagen, dass sie einen Schlaganfall erlitt und zum Pflegefall wurde. Er bekam dafür 5 Jahre Gefängnis. Und nach dieser Zeit hatte er nichts mehr: keine Wohnung, kein Geld, keine Gesundheit. Die Schwestern nahmen ihn liebevoll auf. In demselben Haus war auch seine Mutter untergekommen, die noch ein halbes Jahr lebte. So kam es zur Aussöhnung und zum Frieden – Schuld und Sühne, Reue und Vergebung! Die Ordensschwester erzählte uns, dass dieser Mann jeden Tag 2 Stunden in die Kapelle zum Gebet geht; dort hält er Zwiesprache mit seinem Herrn und Schöpfer und wartet auf die Begegnung mit seinem gerechten Richter und barmherzigen Retter, der allein barmherzig unsere krummen Wege richten kann zur Geradlinigkeit und Wahrheit auf dem Weg in die ewige Freude.

Adventliche Existenz – Erwartung des wiederkommenden Herrn, Ausrichtung unseres ganzen Wesens auf IHN, der unsere Zukunft und unser Heil ist!

Selig die arm sind vor Gott, denn ihnen gehört das Himmelreich – so sagt Christus. Die äußere Armut in Rumänien kann dabei helfen, nichts von vergänglichen Dingen zu erwarten, sondern die Hoffnung auf Gott zu setzen, der allein unser Heil ist. Diese äußere Armut kann man in den Häusern sehen, auch in der Kirche von Adjudeni, wo es keine Heizung gibt, auch im Pfarrhaus, wo die Heizung nur über Nacht angestellt wird, man kann sie sehen, auch wenn man mit den Priestern spricht – ein Kaplan er-zählte, dass er als Priester monatlich 250,- Euro bekommt (wobei die Preise für Lebensmittel, Benzin u.a. wie bei uns sind). Und wenn der Bischof auf eine Stelle mit 2 Priestern noch einen dritten dazu schickt, dann teilen sich die 3 Priester die zwei Gehälter, die vorgesehen sind. Die äußere Armut zeigt sich auch daran, dass ca. 3 Millionen Rumänen im Ausland arbeiten, weil die Wirtschaft im Land so schlecht ist. Auch der Vater von Diakon Tarciziu arbeitet schon 15 Jahre in Italien und kann nur zweimal im Jahr nach Hause kommen. In diese Arbeiterkolonien im Ausland schickt der Bischof rumänische Priester, die dann immer auch die dortige Ortsgemeinde mit-betreuen. Aber bei all dieser äußeren Armut habe ich nie ein Klagen gehört; im Gegenteil: man bemüht sich trotzdem darum, anderen Gutes zu tun und zu teilen. Diakon Tarciziu hat immer großen Wert darauf gelegt, dass wir bei den Besuchen in den Alten- und Kinderheimen ein Geschenk mitbringen; so haben wir zuvor immer bei Kaufland oder anderen eingekauft: für jeden eine Süßigkeit oder eine Apfelsine, auch für die Ordensschwestern und jeden einzelnen Angestellten. Oft hat Diakon Tarciziu von dem starken Glauben der Leute gesprochen, was für seinen eigenen Lebensweg ein sehr ermutigendes Zeugnis ist – man kann bei ihm eine große Bewunderung und Hochschätzung des tiefen Glaubens der ganz einfachen Leute spüren.
Ein Wort, das mir Diakon Tarciziu in diesen Tagen oft gesagt hat, ist das Wort „Opfer“: die Gläubigen haben ihr Geld, ihre Zeit, ihre Kraft geopfert, um solch eine große Kirche zu bauen; die Eltern bringen große Opfer, um bei der schlechten wirt-schaftlichen Lage ihre Kinder großzuziehen; die Leute bringen Opfer, um täglich zur Hl. Messe zu kommen (in die ungeheizte Kirche), manchmal zweimal am Tag; sie opfern ihre Zeit für Wallfahrten, sie opfern die Hl. Messe, das Rosenkranzgebet und ihre Gebete für andere auf.

Die Opferbereitschaft kann man auch an den vielen kinderreichen Familien erkennen: nicht das Leben für sich haben zu wollen, sondern Leben zu schenken, sich zu verschenken, ein Leben für andere zu opfern. DiakonTarciziu erzählt von seinem Vater, der schon so lange und noch so viele Jahre in Italien arbeitet, damit seine Frau und die 4 Kinder in Rumänien leben können – Tarciziu sagt, sein Vater opfert alles Schwere in der Fremde, auch alle Versuchun-gen, für die Familie auf, wie er ihm anvertraut hat; und wenn er mit dem Auto unter-wegs ist, dann hört er niemals Autoradio, sondern betet immer den Rosenkranz in Aufopferung für seine Familie. Alle versuchen ihr schweres Leben, ihre Armut, ihre ungewisse Zukunft aufzuopfern, in Gottes Hände zu legen, damit ER daraus Segen macht. Opfer für die Familie, Opfer für die Kirche, Opfer für Gott! Opfer ist die eine Seite der Medaille, dessen Kehrseite Liebe heißt. Wen man sehr liebt, für den ist man bereit, viel zu geben, viel zu „opfern“. Opfer ist das Kennzeichen und Erken-nungszeichen, ob es sich wirklich um Liebe handelt. Es gibt keine wirkliche Liebe ohne Opfer. Das ist offensichtlich bei den Gläubigen dort eine ganz tiefe Einsicht. Deswegen jammert auch keiner, sondern bemüht sich Opfer zu bringen, wie man es ja auch bei den anderen sieht. Vielleicht liegt hierin das Geheimnis einer großen geistlichen Fruchtbarkeit in der Diözese Iasi – es ist die Fruchtbarkeit des Opfers Christi, an dem teilzuhaben und mit dem sich zu verbinden die Menschen dort sich nach Kräften mit ihrem Leben und ihrem Opfer mühen.

Für mich ganz persönlich war alles, was ich in diesen Tagen dort erleben durfte, ein kostbares Geschenk, eine Zeit der Gnade und Freude, wirkliche geistliche und frohe Tage, ein Einüben des Advent: die Ausrichtung des ganzen Lebens auf den wieder-kommenden Herrn. Sehr dankbar bin ich für meine dortigen Lehrmeister mit ihrem tiefen Glauben und ihrem eindrucksvollen Lebenszeugnis, besonders für Diakon Tarciziu, so dass ich den Leuten manchmal scherzhaft auf ihre Fragen, ob ich hier Urlaub mache, gesagt habe: ich bin hier Praktikant.

In unseren Wohnungen haben wir manchmal so viele Dinge – und immer kommt Neues dazu -, dass wir zuweilen alles vollgestellt (vollgemöhlt) haben; man hat schon manchmal keinen Durchblick mehr. Aber schlimmer ist es noch, wenn unsere Seele vollgemöhlt ist, dass man manchmal gar nicht einmal weiß oder daran denkt, warum man überhaupt auf der Erde ist. Bitten wir den Herrn um ein demütiges und armes Herz, das sich nicht ablenken lässt von Christus, unserem wirklichen Leben, sondern in adventlicher Sehnsucht offen bleibt für unsere wahre Freude und Zukunft, die Gott selber ist. Und bitten wir den Herrn immer wieder um solche Glaubenszeugen, die uns Lehrmeister sein können im Praktikum unseres Lebens, das immer Advent bleibt bis zur Wiederkunft unseres Herrn und Retters, der uns liebt in alle Ewigkeit.

Pfarrer Michael Theuerl